MARTIN WILLING

BEWEGTE KUNST

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Gespräch zwischen dem Physiker und Wissenschaftler Dr. Willi Stahlhoven und Martin Willing

am 18.7. 1996 in Friedberg

St.: Wenn man etwas Generelles über ihre Arbeiten sagen will, dann kann man Sie so verstehen, daß Sie Schwingungen sichtbar machen. Als Schwingung bezeichnet man ja im alltäglichen Sprachgebrauch jede hin und zurück periodisch sich wiederholende Bewegung. Und genau das ist eigentlich in Ihren Skulpturen angelegt. Wenn ich mir Ihre Arbeiten ansehe, beginnen Sie 1979 mit einfachen Stäben, die Sie in den Raum hineinstellen. (TextAbb.1: Senkrechter Stab) Meine erste Frage ist: Ist bereits diese erste Arbeit bestimmend gewesen für Ihre Bezeichnung  „Grenzlänge“? Was verstehen Sie unter Grenzlänge?

W.: Das ist so, die ersten Arbeiten sind entstanden, weil ich tief in den Raum hinein wollte mit der Skulptur und dann die Stäbe so weit wie möglich in den Raum gespannt habe. „Gespannt“ deswegen, weil sie sich ja unter der Schwerkraft durchbiegen. Und wenn ich diese Stäbe nach oben – also entgegengesetzt zur Schwerkraft – vorspanne, kann ich sozusagen frei in den Raum hinein, ohne die Schwerkraft als Hindernis.

St.: Und dann ist die Länge die bestimmende Größe, und deshalb wählen Sie die Bezeichnung Grenzlänge?

W.: Ja, die Länge und der Querschnitt des Stabes. Die ersten Stäbe waren Rundstäbe, die habe ich dann auf die Weise, wie eben beschrieben, waagerecht in den Raum gespannt bis ich schließlich an eine Grenze komme, abhängig vom Durchmesser des Rundstabes.

St.: Dann beginnt die Schwerkraft und zieht sie nach unten ?

W.: Nein, das meine ich nicht, das passiert ja von Beginn an. Also anfangs, meinetwegen nach 30 cm, scheinen sie noch gerade zu sein, genau betrachtet gibt es aber schon eine kleine Durchbiegung. Deutlich sichtbar wird diese dann nach einem halben Meter. Die Durchbiegung stellt aber nicht die Grenze dar.

Also: Gesetzt den Fall, ich verlängere jetzt einen Rundstab, der an der Wand befestigt ist, waagerecht in den Raum. Und durch das „Vorspannen“ kann ich ihn immer weiter waagerecht verlängern bis plötzlich das Phänomen auftritt, daß das Material anfängt, sich zu drehen. Das heißt, es tordiert, es verdreht sich. In diesem Moment ist die Grenzlänge erreicht. Der Stab biegt sich dabei zur Seite und kippt dann nach hinten weg. Das heißt, die Stabilität ist nicht mehr gegeben. (TextAbb. 2: umgekippter Stab)

St.: Aber diese wird von Ihnen experimentell ausprobiert.

W.: Ja.

St.: Das kann man nicht theoretisch bestimmen?

W.: Ich habe noch keine theoretische Lösung dafür gefunden. Suchen könnte man wahrscheinlich im Bereich der Eulerschen Gleichungen, da gibt es so etwas. Die „Kritische Knicklänge“ gibt es bei einem Träger, wenn man ihn senkrecht aufstellt und ein Gewicht darauf legt. Wann knickt er, wann bricht er aus? Das sind solche Phänomene.

St.: Dann kommen von dort ausgehend, vielleicht aus dieser Erfahrung, Figuren zustande, die Sie mehr in den Raum hinein drehen.

W.: Ja. Also diese Stäbe sind sehr lang und haben eine verschwindend kleine Masse im Vergleich zur Länge.

Ich habe mich von da aus mehr der Masse genähert und dieses durch Winden in eine bestimmte Form zu erreichen versucht.

St.: Dies sind die spiralförmig in den Raum gedrehten Skulpturen ? (Verweis auf Abb: Sich in den Raum windender Stab)

W.: Ja, ich „verdichte“ sozusagen diese Linien zu einer Form und konzentriere damit die Bewegung stärker an einem bestimmten Ort. Und dieser Prozeß geht eigentlich ziemlich weit, bis zur Kugel (Verweis auf TextAbb 9.: Kugel) als Endzustand.

St.: Aber dazwischen haben Sie Arbeiten, mit denen Sie kompliziertere Schwingungszustände sichtbar machen.

W.: Es gibt die Grundschwingung, wie bei einer Gitarrensaite, und dann gibt es über der Grundschwingung noch weitere Schwingungen, „Oberschwingungen“  oder „Obertöne“.

St.: Wie in der Musik.

W.: Daß man einen zweiten Ton auf der gleichen Saite erzeugen kann, der eine kürzere Wellenlänge hat. Die gedrehten Stäbe sind anfangs auch Rundstäbe gewesen. Dann kommt als nächster Schritt das Abflachen des Materials. Das heißt, daß ich diesen Rundstab flach walze und parallel zum Erdboden orientiere. Dadurch vermeide ich das „Verdrehen“, wie ich es vorhin beschrieben habe. Wenn man die Energiekurve dazu betrachtet, bildet sie eine Art Mulde. Man kann den Stab innerhalb dieser „Mulde“ schwingen lassen und erst, wenn man ihn zu stark bewegt, kippt er heraus. Das ist bei fast allen frühen Arbeiten der Fall, daß sie dann völlig ihre Form ändern.

Der zweite wesentliche Schritt ist aber, das Material zu „verjüngen“, es zum freien Ende hin dünner zu schleifen.

Der Antrieb für diesen Schritt war dabei, die Bewegung bis in die Spitze zu treiben und dadurch, daß ich den Querschnitt verjünge, kann ich die Spitze stärker mit bewegen. Ich bekomme mehr Bewegung bei weniger Masse.

St.: Wo sind die Oberschwingungen nun wirklich?

W.: Die Oberwellen sind natürlich vorher dagewesen, aber sie sind nicht deutlich gewesen, und erst jetzt erscheint uns eine Oberwelle auch als deutliches Phänomen. (TextAbb 3: Oberwellen des Ellipsoides)

St.: Durch das Dünnerwerden machen Sie die Oberwelle sichtbar.

W.: Ja.

St.: Das finde ich sehr gut, das ist faszinierend. Es ist eine nicht hörbare Musik, die sie als Plastik in den Raum stellen.

W.: Ja, das ist eine langsame Schwingung, die nicht im Hörbereich liegt.

St.: Aber man sieht sie.

W.: Hier würde ich gerne den Begriff „Unendlichkeit“ mit einbeziehen. Bei dem senkrechten Stab, z.B., der sich nach oben hin verjüngt, habe ich die Vorstellung, ihn 50 m in die Höhe ragen zu lassen.

St.: Dabei ist mir eine Parallele zu Ihrer Arbeit eingefallen: die „Endlose Säule“ von Brancusi… Denn auch dort wird dieses „Ragen in den Raum“ dem Betrachter ganz bewußt. Und bei Ihnen wird es fast ins Immaterielle getrieben.

W.: Ja, es löst sich auch optisch auf. Ich konnte diese Version mit dem verjüngten Stab bisher nur bis zu acht Meter Höhe realisieren, ich habe aber noch vor, die 50 Meter Höhe wirklich zu erreichen.

St.: In dem Sie daran weitergearbeitet haben, beginnen Sie 1989 dieses Prinzip wieder umzukehren: Sie lassen jetzt das Flachmaterial oder mit was Sie arbeiten nach außen hin dicker werden und wenn Sie mit Ihren Spiralformen arbeiten, lassen Sie die Abstände immer größer werden, aus denen Sie die Spiralformen drehen.

W.: Bei dem Kegel, da ist es so: Es wird gleichzeitig der Radius des Kegels und der Radius des Stabes vergrößert (TextAbb 4: Kegel auf Stab). Das hat den Grund, daß ich Masse an die Bewegung binden will. Also, dieses Auflösen nach oben ins Unendliche. war die eine Sache, und als es realisiert war, da habe ich die Masse vermißt.

St.: Ist es richtig, wenn ich jetzt sage, daß bei diesen Arbeiten wieder stärker etwas „Schwebendes“ entsteht?

Es ragt jetzt in den Raum hinein, das schwerere Teil ist außen …

W.: Die Vorspannung und das Gewicht werden spürbarer, die Schwingung wird ruhiger und langsamer.

St.: Jetzt wird die Gravitation versinnbildlicht.                                            (Verweis auf Abb: Schlängelndes Band)

W.: Sie wird deutlicher sichtbar.

St.: Also es „liegt“ quasi im Raum. Ich habe dabei an El Lissitzky gedacht. Was Lissitzky in seinen Prouns versucht hat als Bildvorstellung zu induzieren, nämlich das Schweben, machen Sie in der Skulptur.

W.: Ja, so könnte man sagen. Das ist schon ein wesentlicher Antrieb meiner Arbeit. Dieses „In den Raum hinein wollen“ und die Schwerkraft dabei zu verlassen.

(…)

St.: Ich möchte jetzt unsere formalen Überlegungen etwas beiseite stellen…

Sie stellen den physikalischen Begriff der Schwingung dar, wie er überall in der Natur vorzufinden ist. In einem

Katalog von 1987 schrieben Sie in Form eines japanischen Haiku: „Das rhythmische Vor und Zurück der Brandung des Meeres. Das leise Hin und Her der schwer mit Schnee beladenen Kronen der Bergfichten. Die tastende Bewegung der winzigen Fühler eines Insekts.“ Wollen Sie mit Ihren Arbeiten das Bewußtsein für diese Art Naturphänomene schärfen?

W.: Nicht unbedingt; ich selber habe durch meine Arbeit gelernt, die Natur genauer zu beobachten. Ich war z.B. im Winter im Harz und habe dort Tannen gesehen, die oben schwer mit Schnee beladen waren und sich dann ganz langsam bewegt haben. So etwas nehme ich natürlich dadurch auch intensiver wahr und umgekehrt beeinflußt die Naturbeobachtung wiederum meine Arbeit.

St.: Ihre Arbeiten, die auf geringste Berührungen ansprechen und sei es nur ein Lufthauch, lösen beim Betrachter Empfindungen von Ruhe und Stille aus, haben eine meditative Wirkung.

W.: Ja. Es gibt eine Arbeit dazu, die das vielleicht besonders deutlich macht, was Sie sagen. Das sind die Atmer (TextAbb 5: Atmer) , das sind zwei …

St.: Von wann sind die?

W.: Die sind von 1983… zwei fünf Meter lange Bänder, die an den Endpunkten aufgehängt, waagerecht in Schnüren hängen und in der Mitte langsam auf und ab schwingen. Sie sind vorgespannt und stehen parallel zueinander. Sie haben eine Geschwindigkeit, die in etwa der eigenen Atmung entspricht.

St.: Sie haben das bewußt auf die Atemfrequenz abgestimmt?

W.: Nein, wenn man in diesen Schwingungsbereich vordringt, kommt es zu einer Art von „Resonanz“ zwischen  der Schwingung der Bänder und den eigenen Körperschwingungen. Man steht neben den Arbeiten, sieht die Bewegung auf der ganzen Länge, und diese hat die Frequenz der eigenen Atmung. Man spürt, wie ein unmittelbarer Kontakt zum Körper, vom eigenen Körper zum Skulpturkörper entsteht. Wenn ich den Begriff „Skulpturkörper“ benutze, will ich eben diese Verbindung deutlich zu machen.

St.: Es gibt Interpreten zu ihren Arbeiten, die auf ein „memento mori“ hinweisen.

W.: Ja gut. Das war ein Standpunkt, den ich auch nicht ganz teilen konnte, aber da kann man darüber streiten. Also ich glaube damit war gemeint, daß wenn die Arbeiten in Ruhe sind, daß sie dann „tot“ sind.

St.: Für mich versinnbildlichen sie das Gegenteil, das Feinnervige, daß das Leben ausmacht. Es ist kein Tod, es ist vielmehr die Stille. Und die Stille ist nie Erstarrung, sondern immer Potential. Nur das habe ich bei ihren Arbeiten empfunden. Es war für mich nie das, was natürlich auch drinsteckt, das Spielerische, das Graziöse wie bei Calder. Wir lernen vielmehr, wie schnell die Dinge aus dem Gleichgewicht kommen können und wir empfinden  Zeit. Das heißt, wenn wir den Ablauf beobachten, induzieren sie in uns etwas ganz Wichtiges, nämlich „Geduld“. Wir müssen Warten lernen bei den Dingen.

W.: Ja, das stimmt. Das hat schon mit Zeit zu tun.

St.: Das hat mit Zeit zu tun und es hat mit mehr als nur der physikalischen Zeit zu tun, es hat mit der inneren Zeit zu tun, die wir erleben.

(…)

W.: Die Arbeiten über die wir bisher sprachen, gehen immer vom Stab oder Band als Grundelement aus. Diesen falte ich einmal zu einer Mauer oder drehe die Form und mache einen Kegel, einen Zylinder daraus. Ab 1990

beginne ich dann aus Blechen flächige Strukturen auszuschneiden und in den Raum zu biegen oder falten

St.: In diesem Zusammenhang,  machen Sie seit ein paar Jahren Computerzeichnungen. Wozu benötigen Sie diese?

W.: Ja, ich erzeuge dreidimensionale Formen auf dem Bildschirm, die ich dann mit Hilfe eines Programmes, das ich selber geschrieben habe, in die Fläche abwickle. Das ist genauso, als wenn ich eine Apfelsine oder einen Apfel schäle.

St.: Das heißt, die Zeichnungen sind Zusatzerklärungen, die der Betrachter braucht, um den Entstehungsprozeß der Skulptur zu begreifen.

W.: Anfangs waren es nur Zwischenergebnisse, Arbeitshilfen für mich. Sie haben mit dem Problem der Formabwicklung zu tun. Später habe ich bemerkt, daß sie die Arbeiten zusätzlich verdeutlichen können

Man sieht die Struktur der Form, z.B. bei dem Torus. (TextAbb. 6 und 7: Torus und CAD Zeichnung)

Der Torus hat eine Außen- und eine Innenschale. Das Band wird zum „Endlosband“.

St.: Ja, einmal haben wir die Begrenzung, das ist der Stab im Raum, der hat eine Grenze und einen Anfang. Und im Endlosband haben wir weder Anfang noch Ende.

W.: Und das hat jetzt auch wieder mit Schwingung zu tun: Das System des geschlossenen Bandes ermöglicht eine neue Form der Schwingung: Der untere Rand des Ringes ist Auflage und Ruhepunkt der Arbeit und das

Band „entwickelt“ sich einmal über die Außenschale und einmal über die Innenschale frei nach oben hin um sich am oberen Rand des Ringes wieder zu treffen. Die Bewegung kann sich gleichzeitig außen wie innen entwickeln und wechselseitig von außen nach innen wandern. Das ist auch das, was man sieht: Zwei Schwingungen die sich überlagern. Und was in der Statik passiert, ist, daß der innere Teil den äußeren mitträgt. Durch diese gegenseitige Stabilisierung kann ich schließlich die Materialstärken wieder reduzieren.

St.: Das, was mir bei den Skulpturen besonders erscheint, ist die unglaubliche Vielfalt der Bewegungsmöglichkeiten. Es sind ja alle möglichen schwingenden Figuren denkbar.

W.: …durch die Form der Arbeit bestimmt. Die Wechselbeziehung zwischen Form und Bewegung, ist das, was mich bei den Arbeiten, ich denke mal zwischen 1986 und 1993, am meisten interessierte. Ich habe die Formen auf ihre Bewegung hin untersucht. Wenn ich diese Form mache, welche Bewegung kommt heraus?

Da ist für mich auch ein Überraschungselement. Ich experimentiere, bin überrascht, sehe, wo ist für mich eine fundamentale Bewegung. Und „diese“ Arbeit führe ich weiter aus.

Da ist z. B. die Arbeit „Außer Rand und Band“. Das ist eine Arbeit, bei der die Abwicklung noch keine Rolle spielt. Sie ist noch aus einem geraden Band gewickelt, hat ein bißchen die Form eines Hufeisens. Und es entsteht eine Bewegung ähnlich der Drehbewegung der Schultern.  (TextAbb 8: Außer Rand und Band)

St.: So ein Twist.

W.: Genau. Der Titel „Außer Rand und Band“, umschreibt diese Bewegung. Eine solche Bewegung habe ich überhaupt nicht aus der Form erwartet und erst im Experiment entdeckt.

St.: Aus den vielen Möglichkeiten, ist plötzlich ein geordneter formaler Ablauf geworden. Unerwartet als „Figur im Raum“.

W.: Ich habe dabei zwei Aufbauprinzipien entwickelt: Das eine ist, was ich eben als „Schichtung“ bezeichnet habe, das ist eine Form, wo das Band übereinander hin und her geschichtet wird. Das andere ist das, was ich als „Wicklung“ bezeichnen würde. Eine Wicklung, ist dann die Summierung von Bändern nebeneinander, könnte man sagen. In der Summierung bilden die Bänder dann die Oberfläche eines Körpers. Die Zwischenräume schaffen dabei den Bewegungsspielraum. Begreift man diese Zwischenräume als weggeschnittene Teile der

geschlossenen Oberfläche, ist klar, warum ich schließlich auf den Gedanken gekommen bin, die Kugel aus zwei Halbschale zu gießen und sie dann wieder aufzuschneiden. Das ist die umgekehrte Arbeitsweise um zum gleichen Ergebnis zu kommen. Das sind dann die „Körperschnitte“.

St.: Das ist eine ganz andere Arbeitsweise, d.h. die Körperschnitte entstehen erst einmal aus einem Vollkörper.

W.: Auf dem Weg zu den Körperschnitten fehlt aber noch ein Zwischenschritt: Nach den Arbeiten mit der „geschnittenen Oberfläche“ , dazu gehören z. B. der Torus, der Parabolkegel, der Ring, der aufrecht stehende Ring und eine ganze Reihe weiterer Arbeiten, drehe ich das Band um, d.h. ich orientiere es nicht entlang der Oberfläche der Kugel, sondern richte es „radial“, also zum Mittelpunkt der Kugel hin, aus. (TextAbb 9 u. 10: Kugel, tangential und Kugel, radial)

Es entsteht eine zweite offenere Kugel, die aus radial angeordneten Bändern besteht. Und die macht eine andere Bewegung als die Kugel mit der geschlossenen Oberfläche, da das Band ja auch anders zur Schwerkraft, zur Erdanziehung orientiert ist. Das ist das Entscheidende. Ob ich ein Band waagrecht aus der Wand  kommen lasse oder ob ich es senkrecht stelle, das ist eine ganz andere Statik und eine ganz andere Bewegung.

St.: Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Materialien ihrer Skulpturen?

W.: Die Unterschiede sind nicht so groß, wie ich anfänglich gedacht habe.

St.: Aha! Sie haben das ausprobiert.

W.: Ja, ich habe mit verschiedenen Materialien gearbeitet, alles natürlich „federnde“ Materialien.

St.: Muß ja auch sein. Sie müssen ja dem Hookschen Gesetz folgen. Sie müssen Rückstellkraft haben.

W.: Das Aluminium ist sehr leicht, damit natürlich leichter anregbar.

St.: Welches Material haben Sie denn bevorzugt, ausgesucht bei Ihren Experimenten. Welches entsprach am stärksten Ihren Vorstellungen?

W.: Es gibt leider starke Einschränkungen. Der Federstahl ist im Grunde das A und O. Denn er ist ja auch dazu gefertigt, federnde Eigenschaften zu haben. Aber es gibt ihn im Handel nur als „Bänder“ und „Stäbe“. Und ich arbeite, wie ich vorher ausgeführt habe, jetzt mit „Blechen“, schneide die Formen aus Blechen. Da kann ich nicht auf Federstahl zurückgreifen, da muß ich also alternative Materialien haben. Hier kommt nur noch Duraluminium in Frage, also ausgehärtetes Aluminium oder Titan. Titan für Arbeiten im Außenbereich, die nicht korrodieren dürfen.

St.: Sie sind im Grunde genommen alle drei gleichwertig. Was ich angenommen habe, daß das Schwingungsverhalten sich doch verschieden zeigt, wegen der elastischen Komponenten, stimmt also nicht?

W.: Doch, Sie haben recht, es gibt Unterschiede im Abklingverhalten der Schwingung. Titan hat die geringste

Dämpfung und die Bewegung bleibt am längsten erhalten. Einen größeren Einfluß hat aber der geometrische Aufbau einer Skulptur: Kugel, Parabolkegel, oder z.B. der Doppelschwinger zeigen jeweils ganz unterschiedliche Dämpfungen. Der Doppelschwinger entwickelt dabei in der Schwingung die größte Ausdauer. Er schwingt, wenn er einmal in Bewegung setzt wird, über eine halbe Stunde. Und das hängt eindeutig nicht mit dem Material, sondern mit der Form zusammen.

St.: Also das haben Sie experimentell gefunden.

W.: Ja.

St.: Am Anfang haben wir darüber gesprochen, daß Sie in Ihren Skulpturen Schwingungen sichtbar machen. Dadurch werden wir auch gezwungen zu reflektieren was passiert, das heißt, wir erleben einen Vorgang, der in einem Raume stattfindet. Sie machen indirekt Raumkunst und Sie zeigen durch die Schwingung ein zeitliches Verhalten. Wenn wir uns mal auf den Raum beziehen, dann haben wir auch ein Problem, das wir im Grunde nicht verstehen. Wir begreifen den Raum ja nicht.

W.: Ja.

St.: Wir geben ihm ja immer Strukturen, um ihn zu fassen. Wir geben ihm ein Koordinatensystem, oder wir geben ihm Ihre Skulptur. Wenn wir Fragen stellen, was ist denn vor dem Raum oder hinter dem Raum, kommen wir in ein absolutes Verhältnis des Nichtbegreifens. Das was uns so sicher erscheint, ist im höchsten Sinne fragwürdig. Und ist nur durch etwas wie eine Skulptur, ein gedachtes Koordinatensystem, etwas, in dem man leben kann, erfaßbar, den Raum zugleich begrenzend.

W.: Sie geben mir jetzt ein Stichwort. Den Raum zu erfahren, das ist ein Anliegen von mir, das bereits in den frühen Arbeiten vorhanden ist, aber eben auch im Doppelschwinger.

Es hat für mich etwas zu tun mit dem „Armausstrecken“ und daß ich es körperlich erfahre.

St.: Sie zeigen eine Begrenzung, was ich vorhin mit Koordinatensystem meinte.

W.: Und dann, wenn ich die Arme ausstrecke, und das längere Zeit mache, dann spüre ich Schwere.

Und das ist genau das, was auch mit der Arbeit geschieht.

St.: Also wir erleben durch Ihre Arbeit eine Raumerfahrung und wir erleben eine Zeiterfahrung.

W.: Und man spürt, wenn man so will, auch die Erde mit ihrer Gravitationskraft. Das möchte ich noch einbeziehen.

(…)

St.: Die Arbeiten aus den letzten zwei Jahren, nennen Sie „Schichtungen“?

W.: Ja, das sind Abläufe, man könnte sagen geometrische Abläufe: Ein bestimmtes Grundelement wiederholt sich und baut auf dem vorangehenden auf.

St.: Diese Grundelemente sind aufeinander geschichtet und das Ganze ist aus einem Stück.

W.: Im Unterschied zu den frühen Schichtungen wie etwa der Mauerskulptur von 1983, ist hier das Material nicht um nur eine Achse gedreht, sondern um mehrere Achsen. Sie sind aus einer flächigen Struktur aufgebaut, abwechselnd einmal um diese und einmal um eine andere Achse gebogen. Das Material wandert quasi im und um den Körper herum.

Der „Geschichtete Block“ (TextAbb. 11) ist dabei um zwei Achsen gebogen, deshalb zweiachsig, während die „Sechsecksäule“ um drei Achsen gebogen ist, also dreiachsig. Die Mehrachsigkeit hat eine entscheidende Bedeutung für die Schwingung und die Stabilität der Arbeit: ich gewinne festere Strukturen Bei der Mauer erreichte ich die Grenzlänge viel früher, weil die Festigkeit in einer Schichtungsebene gering ist. Bei den frühen Schichtungen waren die Objekte sehr flach, bei einer mehrachsigen Schichtung könnte ich schon sechs oder sieben Meter Höhe erreichen.

St.: Es ist auch ein Anfang, den Sie jetzt neu strukturieren, ein neuer Weg, den Sie einschlagen.

W.: Ja. Und dies hier ist eine Arbeit, bei der das angesprochene „Schichten“ noch einmal deutlich wird,

sie wird jetzt aus einem Block geschnitten (Verweis auf Abb: Quadratschichtung, zweiachsig, wachsend). Das ist also ein Körperschnitt.

St.: Wobei hier die Elemente nach unten konisch werden, sie sind ähnlich. Vorher waren sie gleich.

W.: Ja, sie nehmen nach oben hin zu und zwar dadurch, daß die seitlichen Flächen Trapeze sind, die wachsen, und die horizontalen Flächen sind Quadrate. Nur durch die Seitenlänge, die sie hier hinzu bekommen haben, wachsen sie jeweils um dieses bestimmte Maß.

St.: Da bin ich gespannt, wie das sich entwickelt.

W.: Das Schneiden hat dabei einen Vorteil, den ich an der Quadratschichtung (Verweis: Pfalzgalerie S. 74) zeigen kann. Diese ist noch nach der anderen Methode hergestellt, ich habe sie aus Blechen gekantet. Schwierig beim Kanten ist aber, den Radius nahezu „auf Null“ zu bringen, keine runde Form sondern eine kantige Form herzustellen. Dadurch kann das Material brechen. Beim Schneiden zerstöre ich hingegen nicht die Struktur des Materials, wie beim Biegen, d.h. ich kann kantig und präziser arbeiten.

St.: Ich meine, man kann das natürlich so weit treiben, daß man das so fein strukturiert, daß es an die Grenze des Zerbrechens kommt.

W.: Das ist auch bei dieser Arbeit der Fall.

St.: Und deshalb hat diese Arbeit für mich so etwas „Giacomettihaftes“. Ich sehe darin den Menschen , ich sehe darin natürlich auch gleichzeitig die Gefahr. Sie symbolisiert Veränderungen, sie symbolisiert das Auseinanderbrechen. Insofern ist der Begriff „Schnitt“ vielleicht hier ein Synonym für „Verletzlichkeit“. Das wird mir bei dieser Arbeit stärker bewußt als bei allen früheren Arbeiten. Ich weiß nicht warum, es ist jedenfalls das, was ich damit verbinde.

W.: Die Bleche sind unten dicker als oben. Das habe ich bei den frühen Arbeiten zwar auch gemacht, eben aufgrund des Schwingungsaspektes. Aber ich konnte dort nur „stufen“, hier kann ich kontinuierlich verjüngen und wirklich auf Null gehen. Die oberen Elemente hier z.B. sind zerbrochen. Also, was hier noch zu sehen ist, ist das, was gerade noch geht.

St.: Das ist ja interessant! Das ist Ihnen bei den Schwingungsvorgängen auseinander gebrochen?

W.: Nein, …schon beim Schneiden. Die Grenze des Machbaren ist gar nicht so weit. Also hier z.B., das obere Blech hat etwa einen halben Millimeter Stärke.

St.: Diese Grenze, die habe ich gemeint. Die wird dort bewußt.

W.: Unter diesem Aspekt möchte ich nochmals den Doppelschwinger betrachten (Verweis Abb: Doppelschwinger): Es geht auch hier an den beschriebenen Grenzbereich, was das Schneiden der Füße und des Mittelpunktes betrifft. Die dortige Verjüngung des Materials ermöglicht dabei, was ein entscheidenden Punkt bei dieser Arbeit ist, den „Austausch von Energie“: Wenn ich die linke Hälfte der Skulptur anrege, wird die Energie mit einer zeitlichen Verzögerung auf die rechte Hälfte übertragen. Es ist ähnlich einer gekoppelten Schwingung, wie man sie aus der Physik kennt. Dabei sind es die Füßchen, die mitschwingen, die Energie aufnehmen, speichern und wieder an die andere Seite abgeben.

Ein solch spannendes Phänomen hatte ich nicht erwartet, es ist ebenfalls Ergebnis intensiven Experimentierens.

(…)

St.: Zum Schluß möchte ich noch einmal zusammenfassend ausdrücken, daß mich Ihre Arbeiten in der Klarheit der Form und in der Komplexität ihrer Bewegungsabläufe in einen Zustand der Ruhe und Stille gebracht haben, sie waren Skulpturen, die mir in einem ganz neuen Ausmaß das Unergründliche von Raum und Zeit vermittelt haben. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.